Ein polemisch-analytischer Nachruf auf eine Partei, die einst für etwas stand – und heute als Steigbügelhalter einer neuen Rechten endet.
Ich war mal SPD-Mitglied. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich ausgetreten bin – es war irgendwann zwischen einem weiteren GroKo-Kompromiss und dem x-ten neoliberalen Schwenk. Was ich aber noch weiß: Damals gab es Diskussionen. Leidenschaft. Hoffnung. Und eine gewisse Arroganz, mit der man dachte, man sei „die Volkspartei der kleinen Leute“.
Heute, im Jahr 2025, wirkt das wie eine traurige Erinnerung an eine politische Jugendliebe, die man verlassen hat, weil sie sich völlig verbogen hat – und die heute betrunken in der Ecke sitzt, klatschnass von der Umarmung mit Friedrich Merz.
Vom Kanzler der Bosse zur Partei der Bedeutungslosigkeit
Man muss gar nicht erst bei Schröder anfangen, um zu verstehen, wie der Weg der SPD aussah – aber man sollte es trotzdem tun. Die Agenda 2010, Hartz IV, Riester-Rente, Privatisierungen – alles Projekte, die in schönster Übereinstimmung mit den wirtschaftsliberalen Träumen der Union und der FDP standen. Nur eben umgesetzt von einer Partei, die sich „sozialdemokratisch“ nannte.
Diese Selbstverleugnung wurde von der Basis lange getragen. Mit Bauchschmerzen, ja. Mit Gegenstimmen, auch. Aber sie wurde getragen – aus Angst, aus Loyalität, aus Parteidisziplin. Das Ergebnis war ein langsamer, aber konsequenter Ausverkauf der eigenen Substanz.
Zur Tragik gehört auch: Genau diese Angst – vor dem Bedeutungsverlust, dem politischen Aus – hat die Mitglieder immer wieder dazu gebracht, allen schmerzhaften Kompromissen zuzustimmen. Und damit genau das zu beschleunigen, wovor sie Angst hatten. Wer aus Angst vor dem Untergang jede Selbstaufgabe mitträgt, erreicht ihn erst recht.
Die Agenda 2010 war in vielerlei Hinsicht ein Dammbruch: Nicht nur in der Sozialpolitik, sondern auch im Verhältnis zwischen Staat und Kapital. Mit ihr wurden Tür und Tor geöffnet für die schleichende Finanzialisierung des Sozialen – Aktienfonds in der Altersvorsorge, Marktorientierung im Gesundheitswesen, Wettbewerb in der Grundsicherung. Was früher Gemeinwohl war, wurde zur Renditequelle.
Und jetzt? Jetzt stimmt die SPD einem Koalitionsvertrag mit der Union zu, unter einem Kanzler Friedrich Merz – jenem BlackRock-Mann, den man einst als Gegenspieler der Sozialdemokratie karikierte. Mit 84,6 Prozent Zustimmung.
Der Reflex der Verantwortungslosigkeit
Ein weiteres Element dieser Entwicklung ist ein Verhaltensmuster, das sich überall dort beobachten lässt, wo politische Karrieren gedeihen: die Verschiebung von Verantwortung. Entscheidungen werden nicht getroffen, sondern verkauft. Aussagen werden nicht geprüft, sondern inszeniert. Aussagen wie „die Polizei hat uns gewarnt“ – obwohl das gar nicht stimmt – dienen der Legitimation, nicht der Aufklärung.
Dieses Verhalten ist nicht angeboren. Es ist erlernt. Es ist überlebensnotwendig in einem politischen System, das Loyalität und Reibungslosigkeit stärker belohnt als Wahrheit und Haltung.
Wer in so einem System aufsteigen will, muss lernen:
- Nicht zu stören.
- Nicht zu klar zu sprechen.
- Die Verantwortung immer elegant ins Abseits zu schieben.
Wer so handelt, braucht keine Gegner mehr
Die SPD hat damit nicht nur ihre Inhalte aufgegeben. Sie hat ihre Rolle als Schutzmacht für Menschen mit wenig Lobby aufgegeben. Sie regiert mit, verwaltet mit, spart mit – aber sie gestaltet nicht mehr. Sie kämpft nicht mehr. Und wenn sie es doch tut, wirkt es wie eine schlecht gespielte Reenactment-Show aus den 70ern.
Das Problem dabei: Wenn die SPD wegfällt, fällt auch die politische Vertretung jener, die nicht bei McKinsey arbeiten, keine Shareholderberichte schreiben und keinen Zweitwohnsitz in Brandenburg haben.
Und dann? Dann stehen sie da, die Menschen, die arm sind trotz Arbeit, die Angst haben vor der Miete, vor der Pflege ihrer Eltern, vor dem Klima, vor dem Abstieg ihrer Kinder. Und sie sehen: Niemand spricht mehr ihre Sprache. Außer vielleicht die, die am lautesten „Volksverräter“ rufen.
Der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen spricht von 14,2 Millionen Menschen in Armut – das sind 16,8 % der Bevölkerung. Quelle: https://www.der-paritaetische.de
Willkommen in der schönen neuen Welt
Und während die SPD sich selbst zu Grabe trägt – mit Kränzen aus Regierungsfähigkeit und Stabilitätsversprechen –, feiern andere schon: Trump. Putin. Musk. Höcke. Friedrich Merz. Alles Männer, alle mit Sendungsbewusstsein, alle mit klaren Botschaften.
Die einen machen Politik für Reiche, die anderen für autoritäre Fantasien, wieder andere für Tech-Oligarchien. Was sie eint: Sie haben kein Interesse daran, die Welt gerechter zu machen – sondern maximal steueroptimiert.
Und so schauen wir auf das politische Zentrum – und sehen: nichts. Ein Vakuum. Keine klare Opposition, keine kämpferische Sozialdemokratie, keine glaubwürdige linke Kraft außer… der Linken. Und die wird regelmäßig medial hingerichtet, bevor sie überhaupt mal einen Fuß auf den Boden bekommt.
Ein Nachruf mit bitterem Beigeschmack
Die SPD schafft sich ab – seit Jahren. Und das wäre tragisch, aber erträglich, wenn es nicht so viele mit in den Abgrund reißen würde. Die Partei wird noch ein paar Jahre durchhalten. Mit Restwähler*innen, Parteiapparat und Sonntagsreden. Aber die Seele ist längst weg. Und mit ihr die Stimme für die Vielen.
Wie schrieb Aldous Huxley? „Die Menschen lieben ihre Knechtschaft.“ Nun – sie wählen sie sogar. Herzlichen Glückwunsch.
Hinweise und Quellen:
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