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Sibylle Lewitscharoff und ihre Sprachspiele

Bei ihrer Rede am 2. März im Dresdner Staatsschauspiel reihte sich Sibylle Lewitscharoff erfolgreich in die elitäre Riege der verbalen Entgleiser ein. Im Politischen Feuilleton des Senders "Dradio Kultur" vom 24.03.2014 bemängelte der Feuilletonist Christian Schüle die mangelhafte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema "Künstliche Befruchtung", um die es in dieser Rede ging. Vielmehr regen sich die Leute über die unglückliche Wortwahl Lewitscharoffs auf, um nur wenig später sowieso von Uli Hoeneß abgelenkt zu werden. Harald Martenstein vom Tagesspiegel ist gar der Meinung, dass es heute "christliche oder konservative Positionen [sind], die im Chor niedergebrüllt werden." Aber was regt uns denn derart auf an ihrer Rede?

Auf dass Google die entsprechende Wortwahl Lewitscharoffs auch ganz sicher indiziert, hier die Originalaussagen:

  • Sie sprach von Fortpflanzungsmedizinern als "Frau Doktor und Herr Doktor Frankenstein";
  • "das 'gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse' sei ihrer Meinung nach vergleichbar mit den 'Kopulationsheimen' der Nazis";
  • weitere Äußerungen von ihr: "... im Zuge des medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritts trete eine Selbstermächtigung der Frauen über ihren Körper zum Vorschein, die verachtenswert sei ...";
  • Frauenbewegung stehe in der Tradition der "verblendeten, zutiefst deutschen Frauentümelei mit unsauberen Ahnenfiguren wie der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz ..."; und schließlich
  • "Nicht ganz echt sind sie [= die durch künstliche Befruchtung geborenen] in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas".

Zitiert aus der Zeit. Im Interview mit Adam Soboczynski in o. g. Zeitung sagt sie weiter, sie sei "nun mal ein angriffslustiger Terrier." Dieses offene "Drauflossprechen wurde früher eher akzeptiert als jetzt. Ganz definitiv. Es gehört zum Übel unserer Zeit, ständig wohlbehalten sprechen zu müssen, da sich jeder jederzeit gekränkt fühlen könnte. Wir sind schon eine Gesellschaft der beleidigten Leberwürste."

Beleidigte Leberwürste? Nun beleidigt sie auch noch Lebensmittel, die sich überhaupt nicht wehren können ... Ich finde es schon ein starkes Stück, in welchen Formulierungen sie sich diesem Thema übergibt. Wir reden hier ja nicht von einer Boulevardpublizistin, auch nicht von einer Fußballredakteurin oder Ansagerin der RTL2-Nachrichten. Wir haben es hier mit einer Schriftstellerin zu tun, welche u. a. mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt wurde. Ich gehe also davon aus, dass sie sich sehr wohl im Klaren darüber ist, wie sie ihre Worte wählt. Sich anschließend für ihre möglicherweise unglückliche Wortwahl zu entschuldigen, erscheint mir eher als ein Eingeständnis, das Medienecho falsch eingeschätzt zu haben. Das erinnert schon ein wenig an Guido Westerwelle und seinem "... man wird doch noch wohl sagen dürfen ..." in Verbindung mit Hartz-4-Empfängern und der spätrömischen Dekadenz.

Da ist es nun wieder Mode geworden, all den Blödsinn den man sich als öffentliche Person so zurechtschreiben lässt, damit zu entschuldigen, dass man nun mal so ein direkter Typ sei. Einer muss ja mal die ungeliebte Wahrheit sagen. Vielleicht wäre für diese Art der verbalen Entgleisung in Zukunft ein eigenes Wort sinnvoll: sarrazinistisch – für alle die mutigen und selbstlosen Ritter, welche die unbequeme Wahrheit aussprechen.

Überhaupt stört mich an solchen Aussagen der implizite Wahrheitsanspruch, der sich durch die Art der Formulierungen ausdrückt. Da ist jemand nicht in der Lage, eben nur seine eigene Meinung zu vertreten. Nein, sie müssen stets als allgemein gültige Wahrheiten verkündet werden. Ich hätte mit Lewitscharoff viel weniger Probleme gehabt, wenn sie lediglich von ihrer Meinung gesprochen hätte. Dann wäre ich auch bereit gewesen, mich mit ihr inhaltlich auseinander zu setzen. So bleibt auch mein Beitrag leider nur auf die Betrachtung der Form ihrer Rede begrenzt. Aber vielleicht ist dies ja nur ein Problem von uns statistischen Informationsverarbeitern. Die Politiker wissen schon lange, dass wir sie nicht gerne wählen, wenn sie ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Nein, wir wollen Fakten und Versprechungen, sonst hören wir nicht mehr zu. Eine Meinung? – Die kann ja jeder haben!

Stellen Sie sich vor, ein Politiker würde uns vermitteln, er erhoffe sich durch eine bestimmte Gesetzesänderung eine bestimmte Auswirkung. Mit so einer Formulierung wäre doch der Realität Rechnung getragen! Gesellschaftliche Systeme sind dermaßen komplex, dass Vorhersagen in etwa dasselbe Garantieversprechen mitbringen wie Wettervorhersagen. Oder wie Luhmann es ausdrückte: Politiker, die glauben, durch eine ganz spezifische Intervention ein ganz konkretes Ergebnis zu erzielen, sind entweder dumm oder arrogant.

Womöglich aber, und jetzt kommt's, haben verbale Entgleisungen, etwa mit Bezug auf die NS-Zeit, auch noch einen ganz anderen Zweck, nämlich den, anhand der Reaktionen herauszufinden, ob die deutsche Öffentlichkeit wieder reif ist für solcherlei Ideologie. Lewitscharoff war in den letzten Jahren nicht die Erste ihrer Art – und wird wohl auch nicht letzte sein ... Falls ich mich mit meinem Beitrag da nun selbst eingereiht habe, kann ich diese meine Entgleisungen ja später immer noch zurücknehmen oder – noch besser – nachträglich mich selbst zum heldenhaften Märtyrer hochstilisieren, weil eben nur ich den Mut hatte, eine ungeliebte Wahrheit auszusprechen. Ha, und wenn das Medienecho dann verhallt, wird mir sogar noch hoeneß-like Respekt zuteil, z. B. von der deutschen Kanzlerin ...

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