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Realität? Was soll das denn sein?

Realität gibt es nicht − und schon gar nicht eine einzige. Sie glauben dennoch, Sie könnten so etwas wie Realität erfassen? Nur zu, der Glaube daran kann mitunter recht nützlich sein. Denn Glaubenssätze strukturieren unsere Weltbilder – wir wollen ja schließlich nicht nur verwirrt "durch die Gegend laufen". Trotzdem bleibt die Vorstellung von einer singulären Realität naiv, wenn nicht gar blödsinnig. Und sie führte schon zum Tode Abermilliarder Menschen. Denn gäbe es eine (einzige) Wahrheit über eine (einzige) Realität, so müssten alle, die eine jeweils andere Weltsicht haben, überzeugt werden, und das machen wir Menschen auch gerne einmal mit Waffengewalt. Klingt zu dramatisch? Ist es aber nicht: „Der Anspruch auf objektives Wissen ist eine Forderung nach absolutem Gehorsam". (Umberto Maturana).

So dann auch beispielsweise auf einer Internetseite zu Ausdruck gebracht, die behauptet, die Wahrheit über die Wahrheit zu kennen und die argumentiert, "vor Irreführung, Irrtum und Irrlehren zu bewahren und stattdessen den rechten Weg der Wahrheit beschreiten zu helfen, der allein zum gewünschten Ziel" führe. Auch wenn dies Beispiel extrem anmutet, trifft es doch den Kern des Begriffes der "Wahrheit". Im Folgenden wird daher das Wort „Realität“ nicht mehr hier erscheinen und durch ein anderes ersetzt werden, welches zwar Ähnliches beschreibt, aber nicht diese Endgültigkeit impliziert. Ich entscheide mich an dieser Stelle für WIRK-lichkeit. Dieser Begriff drückt aus, dass es etwas außerhalb von uns gibt und man auf dieses Etwas irgendwie einwirken kann. Schließlich wollen wir ja weder Vertreter des Solipsismus noch des Nihilismus sein, nicht wahr? Solches wird Konstruktivisten nämlich gerne vorgeworfen. Wenn der Solipsist eine Realität als ausschließlich von ihm selbst erschaffen ansieht und der Nihilist sowieso alles verneint, geht der Konstruktivist zumindest noch davon aus, dass da etwas außerhalb von ihm selber existiert. Er kann es eben nur nicht objektiv wahrnehmen. Und er kann mittels seiner konstruierten Weltsicht, denn eine andere hat er nicht, auf dieses Etwas ein-wirk-en. Deshalb kann man dieses Etwas nicht allgemein gültig festlegen, denn für jedes Individuum ist es etwas Verschiedenes, etwas Anderes. Zumindest ist ein Gegenbeweis unmöglich. Denn um zu überprüfen, ob jemand anderes die Welt genauso wahrnimmt wie ich, müsste ich für einen direkten Vergleich die Welt mit seinen Augen sehen können. Selbst wenn dies möglich wäre, müsste ich zusätzlich auch dessen Glaubenssysteme und Filtermechanismen kurzzeitig übernehmen und bevor ich nach diesem Experiment wieder in meinem Körper zurückkehre, sollte ich beide Wahrnehmungen miteinander vergleichen (können). Interessant dabei ist das Wort „Wahrnehmung“, denn es weist uns schon darauf hin, dass es sich dabei nicht um einen „Empfangsmechanismus“ handelt, sondern um einen „Bewertungsprozess“, nämlich etwas als „wahr“ anzunehmen. Und wenn ich etwas für wahr nehme, muss zwangsläufig alles andere nicht wahr sein. Wahrheit ist eben die Erfindung eines Lügners, wie Heinz von Förster schreibt. Wahrscheinlich war er ein Kreter. Oder wir wählen Gunther Schmidts Variante der „Wahrgebung“, welche den konstruierenden Charakter betont. Wenn wir dabei von Individuen sprechen, machen wir uns schon wieder zu Lügnern, denn die gibt es gar nicht. Es gibt lediglich etwas, das zwischen zwei oder mehr (anzunehmenden) Individuen vor sich geht: die Beziehung. Wissenschaftler sprechen hier auch von „autopoietische Einheiten“ (Maturana/Varela), die ohne Feedback von außerhalb gar nicht existieren würden bzw. von denen keiner wüsste, weil ja keiner da wäre. Autopoiese meint in dieser Denkweise, dass menschliche Organismen sich selber erschaffen. Maturana und auch Varela definieren auf diese Weise das Leben: Menschen sind sowohl auf körperlicher als auch auf mentaler Ebene strukturdeterminiert – Außenreize werden gemäß ihrer "internen Struktur" verarbeitet und nicht aufgrund vermeintlicher äußerer Objektivität. Verstehen kann ich dies aber nicht wirklich − können Sie es? Vielleicht ist ja unser klassisches Verstehen nicht das richtige Instrument. Bateson geht sogar soweit, dass wir "die systemische Natur der Dinge" überhaupt nicht erfassen können. Wir müssen also zwangsläufig Komplexität reduzieren, um nicht verrückt zu werden. Wir sollten halt nur nicht aus den Augen verlieren, dass das, was wir für "Realität" halten, deshalb sehr komplexitätsreduziert ist. Wie auch immer, ob wir es nun verstehen oder dadurch verwirrt werden, ist gleich. Denn das Verstehen gibt uns ein gutes Gefühl und die Verwirrung ist genau der Zustand, welcher der Klarheit stets vorausgeht.

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