Offener Brief an Esken und Borjans
Liebe Saskia, lieber Norbert Walter,
heute erfuhr ich durch die Nachrichten, dass sich unser neuer Kanzlerkandidat Olaf Scholz gegen ein mögliches Bündnis mit den Linken zur nächsten Bundestagswahl ausgesprochen hat. Dies bewegt mich dazu, euch diesen offenen Brief zu schreiben.
Im Rahmen der letzten Woche machten vor allem zwei Schlagzeilen die Runde: Ihr beiden bemerktet, dass Ihr euch grundsätzlich ein Links / Grün Bündnis vorstellen könntet und es wurde entschieden, Olaf Scholz zu Kanzlerkandidaten zu machen. Zunächst ging ich davon aus, dass das Ganze auf eine Art Deal in der SPD Führung zurück geht. Der Linke Flügel bekommt die Chance auf eine Koalition und dafür bekommt der konservative Flügel Olaf Scholz. Bis zu einem gewissen Grad hätte ich auch damit leben können. Es scheint ja so, als wäre Scholz einigermassen beliebt und scheint auch grundsätzlich in den letzten Monaten gar keinen so schlechten Job gemacht zu haben. Jetzt aber äußert der Olaf sich offen gegen die Möglichkeit eines potentiellen Links-Bündnisses und tritt euch beiden meiner Meinung nach damit in eure Hintern. Zwei Wochen später vertritt Olaf die Meinung, ein Bedingungsloses Grundeinkommen komme für ihn auch nicht in Frage. Er begründet dies damit, dass er eine solche Idee für "neoliberal" hält - WIE BITTE? NEOLIBERAL?.
Man kann über solche Ideen selbstverständlich unterschiedlicher Meinung sein, aber man muss sie doch diskutieren dürfen; vor allem in der SPD. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass es schon sehr willkürlich anmutet, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für neoliberal zu halten, aber das mag ein anderes Thema sein.
An dieser Stelle fällt es mir als SPD Mitglied und als Ratskandidat meiner Kommune ehrlich gesagt nicht mehr so leicht, Einigkeit zu zeigen, die ja so wichtig für uns als SPD insgesamt wäre.
Einigkeit? Ja, unbedingt! Aber nicht um jeden Preis. Ich habe euch beide seinerzeit zum Vorstand der SPD gewählt, weil ich ein "weiter so" nicht mehr wollte. Und ja, ich habe euch beide gewählt, weil ich mehr linke Kraft in der SPD wollte. Ich glaube euch gerne, dass Ihr beide keinen leichten Job da oben habt. Ich glaube auch, dass man, nur weil man Vorstand ist, nicht alle seine Ideale ohne Kompromisse durchsetzen kann. Dennoch erwarte ich hier mehr an dieser Stelle. Aus diesem Grund im Folgenden einmal meine bescheidenen Gedanken zu linkem Denken und zu Olaf Scholz:
Ich bin damals in die SPD eingetreten, obwohl ich eine große Sympathie für die Linken hegte. Besteht, oder bestand doch die Linke zur Hälfte aus ehemaligen SPD Mitgliedern, welche mit der Politik der Agenda 2010 nicht einverstanden waren. Aus diesem Grund empfinde ich es auch als "Hetze", was medial seit Jahren mit den Linken gemacht wird. Immer noch müssen wir uns die Argumente einer ehemaligen Partei des Kommunismus und der Planwirtschaft anhören. Das geht soweit, dass manche Bürger mittlerweile sogar der derzeitigen Kanzlerin unterstellen, sie sei eine linke Politikerin und unsere Regierung würde allgemein der Planwirtschaft unterliegen. Als Beispiele werden hier unter anderem der Mietdeckel in Berlin benannt. Tatsächlich habe ich immer wieder den Eindruck, dass "Linkes Denken" mittlerweile zu einem Schimpfwort geworden ist.
Jenseits dieser Diskussion ist jedoch eines der Hauptthemen, für die linkes Denken meines Erachtens steht, und das sich fast alle anderen Parteien auch auf die Fahne schreiben, der Begriff der sozialen Gerechtigkeit. Und dieser ist so ungeklärt wie nie zuvor:
Der Trend zu mehr Ungleichheit sei auch in Deutschland festzustellen. So hätten die deutschen Milliardäre ihr Vermögen im letzten Jahr um zwanzig Prozent gesteigert. Insgesamt verfüge das reichste Prozent der Bevölkerung über gleich viel Vermögen wie die 87 ärmeren Prozent. Um die deutsche Gesellschaft gerechter zu gestalten, empfiehlt Oxfam einen höheren Mindestlohn sowie eine stärkere Belastung von Vermögenden, Konzernen, Erbschaften und hohen Einkommen. Generell könnten öffentliche Angebote in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung dazu beitragen, Armut und Ungleichheit zu verringern.
https://www.deutschlandfunk.de/ungleichheitsbericht-von-oxfam-schere-zwischen-arm-und.769.de.html?dram:article_id=438921
Diese Fragen werden überhaupt nicht inhaltlich diskutiert, und wenn dann nur in Floskeln wie "wir stehen für mehr Gerechtigkeit!" Ich hatte das Gefühl, Ihr Saskia und Walter Norbert, werdet beginnen diese Fragen zu stellen, und habt dies auch ansatzweise getan. Und das, während bei Lanz, Will und wie sie alle heissen, lediglich diskutiert wird, ob Ihr aus der großen Koalition aussteigen wollt, oder warum Ihr nicht ausgestiegen seid.
Die aktuelle Diskrepanz zwischen dem, wofür Ihr als Vorstand der SPD steht und dem, was Olaf zwischendurch in die Presse ruft, wird bis zu einem gewissen Grad unerträglich. Ich habe das Gefühl, dass zwischen euch keinerlei Absprache besteht und das frustriert mich als Mitglied an der Basis. Es ist, als wärt Ihr als Vorstand und Olaf als Kanzlerkandidat überhaupt nicht in derselben Partei. Ihr erweist uns in unserer Kommunalwahl einen Bärendienst.
Nachtrag 11.03.024 -> Ich bin u.a. aus oben genannten Gründen aus der SPD ausgetreten. Im Grunde hat sich meine Meinung, insbesondere über Scholz nicht nur bestätigt ...