Die sanfte Entmachtung – Vom Mythos des Deep State zur Realität der CEO-Demokratie

Die sanfte Entmachtung – Vom Mythos des Deep State zur Realität der CEO-Demokratie

Es beginnt mit einem Verdacht. Nicht dem Verdacht, dass irgendwo ein geheimer Staat regiert, ein undurchsichtiger Deep State, der Strippen zieht und Demokratien steuert wie ein Puppenspieler seine Marionetten. Sondern dem viel beunruhigenderen Verdacht, dass jene, die uns vor genau diesem Phantom warnen, längst dabei sind, einen solchen Zustand selbst herzustellen – nur mit anderen Mitteln.

Nicht verborgen in Aktenkammern, sondern offen auf Konferenzen und in Podcasts. Nicht mit Geheimdiensten, sondern mit Geld, Software und Beteiligungskapital. Die neue Macht trägt keine Uniform. Sie trägt T-Shirts, redet über Disruption und investiert in die nächste Zivilisation. Sie heißt nicht Staat, sondern Plattform. Sie kandidiert nicht, sie rekrutiert. Und sie lässt sich feiern für das, was sie zerstört: die Idee, dass Macht geteilt, überprüft und verantwortet sein sollte.

Die CEO-Demokratie, wie sie sich in den Schriften eines Curtis Yarvin oder den Statements eines Peter Thiel abzeichnet, ist kein Unfall. Sie ist eine Erzählung, die sich als Technologiekritik tarnt, aber in Wahrheit eine politische Metamorphose beschreibt: Demokratie wird als ineffizient dargestellt, als träge, emotional, irrational. Die Lösung: ein starker, unternehmerischer Führer. Ein Staat wie ein Unternehmen. Ein Volk wie ein Kundenstamm. Ein Ministerium wie ein Dashboard.

Was dabei untergeht, ist nicht nur der demokratische Prozess. Es ist der Sinn selbst. Denn wenn Steuerung nur noch in Zahlen, Algorithmen und Marktfeedbacks erfolgt, bleibt kein Raum mehr für Ambiguität, Zweifel, Widerspruch – die Grundbedingungen jeder lebendigen Gesellschaft.

Heinz von Foerster hätte gesagt: „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten wächst.“ Die CEO-Demokratie hingegen optimiert. Und was optimiert wird, muss reduziert werden: auf Funktion, auf Effizienz, auf Kontrolle. Das Mögliche wird zur Störung. Das Andere zum Risiko.

Gregory Bateson wiederum würde fragen: Welche Muster wiederholen sich? Welche Prämissen bleiben unentscheidbar? Und was passiert, wenn wir vergessen, dass das Denken in Systemen auch ein Denken in Verantwortung ist? Die CEO-Demokratie denkt nicht systemisch, sondern systematisch. Sie ersetzt Aushandlung durch Management. Politik durch Produktentwicklung.

Und sie schafft das, was sie vorgibt zu bekämpfen: einen Deep State. Aber nicht aus Beamten und Juristinnen, sondern aus Servern, Investorinnen, Cloud-Infrastrukturen. Ein Staat, der nicht gewählt wird, sondern gekauft. Nicht verheimlicht, sondern beworben. Nicht verboten, sondern gefeiert.

Was bleibt?

Vielleicht – Europa. Nicht, weil es perfekt wäre, sondern weil es noch nicht aufgegeben hat, die Frage nach dem Gemeinwohl zu stellen. Weil es die Idee einer politischen Öffentlichkeit kennt, in der Entscheidungen nicht nur nach Profitabilität getroffen werden. Weil es sich dem Mythos der Allmachtsfantasie zumindest noch widersetzt, auch wenn es oft müde wirkt.

Ein geeintes, modernisiertes, technologisch autonomes Europa könnte ein Gegengewicht sein. Nicht als Gegenmacht im geopolitischen Sinne, sondern als andere Erzählung:

Dass Technologie nicht Kontrolle bedeuten muss.

Dass Freiheit nicht Eigentum heißt.

Dass Sinn nicht aus der Reduktion, sondern aus der Vielfalt entsteht.

Vielleicht ist das Entscheidende, was uns fehlt, nicht Macht, nicht Technologie, nicht Geschwindigkeit. Sondern – Zurückhaltung.

Die Fähigkeit, nicht einzugreifen, wenn wir nicht verstehen, was wir tun. Die Demut, nicht zu handeln, wenn unsere Modelle zu klein für die Wirklichkeit sind. Die Einsicht, dass Systeme, die leben, sich nicht führen lassen wie Maschinen. Dass man Gesellschaft nicht programmiert. Und Menschen nicht verwaltet.

Gregory Bateson nannte das die Kunst, dort nicht einzuschreiten, wo Engel zögern würden.

Vielleicht wäre es ein Anfang, wieder Ehrfurcht zu empfinden – vor dem, was wir nicht kontrollieren können. Und Respekt – vor dem, was uns als Gesellschaft zusammenhält, obwohl es sich nicht messen lässt.

Denn wer in lebende Systeme eingreift wie in einen Codeblock, wird nicht Ordnung schaffen, sondern das Leben selbst beschädigen.

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